Camaro

Garbors Auto ist ein Camaro SS von 1969. SS steht für Super Sport, nur damit hier keiner auf dumme Ideen kommt. Solange er denken kann, wollte er dieses Auto haben. Immer schon. Das Problem ist: Garbor kann nicht mit Geld umgehen und hat überhaupt keinen Plan von Autos. Also, fahren geht schon, aber sowas wie Ölwechsel, Reifenwechsel und was man sonst noch so wechseln kann, sollte oder muss: Fehlanzeige. Und weil so ein Auto von 1969 nicht so ne ganz einfache Kiste ist, kauft man auch nicht irgendwie so ein abgewracktes Teil und baut es dann wieder auf, wie in so einer Sendung auf YouTube oder Dazn oder so ein Krams. Nee. Wenn man so unbedarft ist wie Garbor, kauft man ein vollständig restauriertes Auto, bei dem sich jemand anderes mal viel Mühe gegeben hat und man selber nur noch die Kohle hinblättern muss. Oder, wenn man das Geld nicht hat, fährt man so ein Auto halt nicht.

Das Geld für das Auto ist aus der Lebensversicherung von Garbors Vater. Ein paar Wochen nach dessen Tod klingelte das Telefon.

“Hallo, hier Garbor.”

“Ja, hallo, hier ist Steven Schmidt von der Norddeutschen Beamten-Versicherungsgemeinschaft.”

“Aha.”

“Erstmal mein herzliches Beileid wegen dem Tod ihres Vaters.”

“Ja, danke.”

“Also, ich komme gleich zur Sache: Ihr Vater hat bei uns vor langer Zeit eine Lebensversicherung abgeschlossen. Ich erspare ihnen die Details, aber sie sind als Begünstigter eingetragen und ich würde ihnen die Unterlagen zukommen lassen, damit wir ihnen das Geld auszahlen können. Ich wollte nur voher die Adresse abklären, die wir hier stehen haben. Die Mühlenstraße in Pankow ist noch korrekt, oder?”

“Also, ich habe das Erbe bereits ausgeschlagen… mein Vater hatte so ein bisschen Schulden und da haben wir entschieden, dass…”

“Ach, das hat damit nichts zu tun. Eine Lebensversicherung geht nicht in den Nachlass, sondern direkt an die begünstigte Person, es sei den die  versicherte und begünstigte Person sind identisch. Ist aber in diesem Fall nicht so. Sie sind als begünstigte Person eingetragen. Sagte ich ja.”

“Aha.”

“Also, Mühlenstraße?”

“Ja, Mühlenstraße. Sagen Sie mal, um wieviel Geld handelt es sich denn?”

“Das kann ich ihnen so am Telefon nicht sagen. Aber die Unterlagen gehen heute noch raus, übermorgen sollte alles ankommen.”

“Okay.”

“Dann noch einen schönen Tag für Sie.”

“Ja, danke, für Sie auch.”

Und so kam es, dass Garbor drei Monate nach der Beerdigung in Holland einen Mann traf, der Hank hieß und mit einem sagenhaft netten Akzent Deutsch sprach, ihm die Schlüssel zu einem Camaro SS von 1969 überreichte.”

“Ich hatte überlegt, ob ich mit dem Geld einen ID3 von VW kaufe. Ich mein, ich fahr eh nicht so viel und dann wegen der Umwelt. Aber ich wollte an der Seite unbedingt die Unterschrift von meinem Papa drauf haben. Ich glaube, auf dem ID3 hätte das echt kacke ausgesehen, verstehen Sie?

“Dein Vater, der hätte den Camaro sicherlich sehr gemocht.”, sagt Hank.

“Ja, hätte er. Ganz sicher sogar.”, sagt Garbor, schüttelt Hank die Hand und fährt dann zurück nach Berlin. Der Camaro ist mehr oder weniger original wie früher, nur die gesamten Armaturen und die Technik sind neu gemacht. Was soll Garbor schon mit einem analogen Tacho anfangen, der nur Meilen pro Stunde anzeigt? Und was soll man 2022 schon mit nem Kasettendeck? Retro hin oder her, aber manche Sachen werden einfach aus vollkommen unsinnigen Gründen glorfiziert. Platten kann man ja verstehen, aber Kasetten nun wirklich nicht. Also verbindet er sein Handy via Bluetooth mit dem Auto und hört als allererstes “Time” von Lee Fields & The Expressions. Sein Papa hat das Lied nie gehört, das Album ist einen Monat herausgekommen, nachdem sein Papa am Tag als Deutschland 7:1 gegen Brasilien gewonnen hat gestorben ist. Das ist jetzt bald 6 Jahre her.

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