Katastrophenschutz
Es ist ein Donnerstag mitten im November und es ist so, wie es die kommenden vier Monate immer sein wird: Halbdunkel. Garbor steht im Bad und hängt Wäsche auf, als es an der Tür klingelt.
“Ja, bitte?”
“Hallo, wir sind vom Katastrophenschutz, können wir kurz stören?”
“Erm, wie jetzt?”
“Ka-ta-strophenschutz.”
“Aja, kommense hoch.”
Ziemlich genau 30 Sekunden nach dieser eher kühlen ersten Begrüßung, stehen da zwei Menschen in der Tür. Bewaffnet mit Klemmbrett und Ausweis bieten sie Garbor nun ein kleines Lächeln an.
“Hallo, ich bin Marie und das ist mein Kollege der Jörn. Wir sind vom Katastrophenschutz und würde uns gerne kurz mit Ihnen unterhalten. Passt das gerade?”
“Na, wann passt es schon, hmm? Kommt mal rein.”
“Danke, sehr freundlich von Ihnen. Wir brauchen auch sicher nicht lange, Herr…”
“Garbor, einfach Garbor bitte.”
Die drei gehen durch den Flur in das große Zimmer und Garbor bietet den beiden Gästen die Couch an, während er sich auf ein Stuhl setzt und sich fragt, seit wann der Katastrophenschutz eigentlich Hausbesuche macht.
“Nochmal danke für Ihre Zeit, Garbor. Wenn ich so direkt fragen darf: Wann war denn bei Ihnen die letzte Katastrophe?”
“Also, das ist glaube ich schon eine Weile her. Außerdem, Katastrophe. Puh. Ich meine, was ist schon so eine richtige Katastrophe? Ist ja nicht so, dass jeder Woche jemand stirbt, man besoffen alles Geld im Kasino verspielt oder man sich fragt, wohin mit all der Traurigkeit oder sowas. Vielleicht so vor zwei Jahren?”
“Aha.”
Die Frau, die sich als Marie vorgestellt hat nimmt ihr Klemmbrett, einen schönen, schwarzen Federhalter, notiert etwas, schaut kurz zu ihrem Kollegen und verschränkt die Beine.
“Wenn ich es so sagen darf: Es gibt ja auch immer wieder so kleine Momente, die uns ziemlich fordern oder aus dem Gleichgewicht bringen, fällt Ihnen da etwas ein?”
“Hmm, klar, dieses Jahr waren da schon immer wieder Momente, die ich als ziemlich intensiv empfunden habe. Das mit dem Schlafen könnte besser sein, die Träume, die Gedanke, wenn ich Nachts aufwache und mich wieder mal frage wo ich bin. Und sonst so das, was halt alle haben: Das ewige hin und her zwischen Sicherheit und Freiheit. Die Frage, wie sehr man sich selbst belügt, wenn man am Sonntag mit nem Kater aufwacht oder Donnerstagabend ne Tüte Chips einatmet. Aber dann denkste wieder, an dein eigenes Privileg und wischt die Gedanken weg. Also, nein: Nuchts was ich jetzt direkt als Katastrophe beschreiben würde:”
“Warum nicht?”
“Na hören Sie mal, das habe ich eben doch alles erzählt.”
Das ist der Augenblick in dem Jörn aufsteht. Er nimmt einen kleinen Kassettenrekorder und eine Flasche aus der Tasche, in der er eben noch das Klemmbrett verstaut hat und drückt auf Play. Dann schüttet er den Inhalt der Flasche über seinem Kopf aus und zündet sich an.
Aus den Boxen ertönen die Stimmen von Maynard James Keenan und Carina Round:
“You speak like someone who has never been
Smacked in the fucking mouth
That's OK, we have the remedy
You speak like someone who has never been
Knocked the fuck on out
But we have your remedy”
Alle Fenster in seiner Wohnung zerbersten, Wasser bricht ein und reißt ihn von den Beinen. Marie steht auf, zieht ihn hoch und flüstert ihm leise ins Ohr:
“Überraschung.”