Probeabonnoment
Der Dünne steht mit tropfnassen Haaren im Hotelzimmer und staunt. Am Tisch sitzt Garbor, vor ihm eine dampfende Tasse mit Kaffe, er liest Tageszeitung.
“Ich wusste gar nicht, dass es Zeitungen noch gibt. Ich dachte immer, die wurden im letzten Sommer eingestellt?”
Garbor schaut hoch und faltet die Zeitung zusammen.
“Direkt nach der Schule habe ich Probeabonnoments für den Tagesspiel verteilt. 14 Tage umsonst – mussest nicht mal unterschreiben. Wir haben meistens einfach im Auto gesessen und aus dem Telefonbuch Adressen abgeschrieben. Einfach x-beliebigen Menschen die Abos zukommen lassen. Da haben wir in unter ner halben Stunde die Arbeit für nen ganzen Tag gemacht. Die Leute vom Aboservices haben da nie was mitbekommen. Aber manchmal, wenn wir wussten, dass unsere Supervisorin vorbeikommt, haben wir natürlich draußen gestanden und das machen müssen. Und es gab auch Leute in unserem Team, die wollten das mit dem Abschreiben nicht. Die wollten die Zeitung ehrlich an interessierte Leute bringen. An diesem einen Wochenende war es so kalt, da standen wir am Ernst-Reuter-Platz und kein Mensch und wollte anhalten. Das war ein Tag, ey. Ich hab gedacht, der geht nie vorbei. Gerade Abi gemacht, du denkst, dir steht die Welt offen. Und dann ist stattdessen alles grau, deine Hände fallen ab vor Kälte und du bemitleidest dich selber furchtbar, furchtbar doll. Ich hab später sicher für ein paar Jahre immer angehalten, wenn mich Leute auf der Straße wegen irgendwas angehalten haben. Ich hab immer gedacht ‘Du armes Schwein, haste dir auch nicht ausgesucht hier rumzurennen und Leute vollzuquatschen, die dir dann Ausreden und Beleidigungen an den Kopf knallen.’ Aber irgendwann nutzt sich Empathie ab und du denkst wieder an dich selber. Komisch, oder?. Kannst du dir das vorstellen?”
“Was davon jetzt?”
“Alles halt. Zum Beispiel: Adressen aus Telefonbüchern! Das klingt fast so, als wäre ich vorm Krieg geboren worden.”
“Bist du doch.”
“Stimmt auch wieder.”
Der Dünne trocknet seine Haare mit einem cremeweißen Handtuch und setzt sich auf die Couch.
“Und was ist dann passiert?”
“Dann haben sie Listen verboten und wir konnten natürlich nichts mehr eintragen. Wir haben alle unsere Jobs verloren. Wenn es keine Listen mehr gäbe, haben sie damals gedacht, würden es besser werden. Die Menschen würden dann mal wieder hochgucken und die Welt wahrnehmen. Aber das ist natürlich nicht passiert. Da, wo vorher Listen waren – egal ob Bullet-Points oder Aufzählungen – haben die Menschen dann oft einfach alles in ganz, ganz langen, von Kommata getrennten Sätzen, geschrieben. Die Menschen haben dann nicht mehr gesagt ‘Du bist auf der Liste der Menschen, die ich am dümmsten finde locker auf Platz 7’ oder sowas wie ‘Das war der viertbeste Sex allerzeiten.’. Nein. Sie haben dann sowas gesagt wie ‘Danke, das war okay, bis bald.’ Das war vielleicht ne komische Zeit, das kannst du mir glauben!”
“Was? Das ist ja krass!”
“Ach quatsch, du Hirni, was glaubst du denn? Die Menschen lieben Listen doch. Wie kann man das nur verbieten. Die schreiben sich Pro- und Contra-Listen, wenn sie rausfiinden wollen, ob sie sich trennen sollen. Listen zum Einkaufen, weil sie sonst vergessen, was sie brauchen. Aber wir wissen beide, dass das so nicht funktioniert. Rausfinden, was man will geht nicht mit Listen. Sondern mit hinhören.”
Ausgedacht und aufgewacht.
Sich selber um den Schlaf gebracht.
Wenn keiner weint und jeder lacht,
Hat keiner etwas falsch gemacht.
Zünd dich an, renn dann im Kreis
Ach wie gut, dass niemand weiß
Ausgedacht und doch so echt
Es ist das Leben, das sich rächt.
Karambolo, Karambolo.
Dreimal schwarzer Kater.
Elotrans, Ibuprufen.
Ich wünscht, ich könnt nach Hause gehn.