Die Sache mit der Zeit
Die Frage ist ja, wenn man die Zeit anhält, kann man dann für immer die Luft anhalten und kommt damit ins Guinnessbuch der Rekorde? Wer überprüft das dann aber? Tropft Blut trotzdem auf den Flokati, auf die weißen Hotel-Slipper und den Bademantel? Läuft der Warmwasserzähler weiter und wachsen einem mehr graue Haare? Wie funktioniert Zeit überhaupt? So allgemein, mein ich? Ach, hätte ich nur besser in Physik aufgepasst. Aber da haben wir nur Masse mal Beschleunigung gleich Kraft gelernt. Aber jeder weiß, dass das nicht stimmt. Kraft bedeutet, sich mit sich selber zu beschäftigen, ohne dass man Kopf schüttelnd an die Bar geht oder weinend im Garten sitzt und Radieschen pflanzt, in der Hoffnung dem von unten Angucken ein Schnippchen schlagen zu können. Es bleibt bei der Zeitanhalterei daher nur eine sehr einfache Sache zu klären: "Was mach ich mit all der extra Zeit, anstatt nur zu grübeln, was man mit ihr macht."
Zapp, zapp und zappzerapp
Appe Beine, Arme ab.
Wirf dich ins Wasser, in die See.
Atme Träume, atme Schnee.
In die Fluten, in die Gischt,
Bis das damals dich erwischt.
Wach dann auf, schlaf nie mehr ein,
Die Antwort kennt,
Die Nacht allein.
Garbor schlägt die Decke ruckartig von sich weg, weil er träumt wieder unter Wasser zu sein. Doch da ist kein Licht und keine Atemnot. Nur er, im Bett, klamme Haare, klammes Shirt. Und so steht er auf, weg mit den Klamotten, die Balkontür auf und nackt in die kühle Nachtluft. Im Hintergrund kann er den Wasserfall leise plätschern hören, oder fallen oder was auch immer Wasserfälle halt so tun. Ein Brausen nicht, sicher kein tosen, aber es ist da und es beruhigt ihn.
"Wie lächerlich es ist, dass ich zuhause eine Meditations-App habe, und nur dank sanftester Naturgeräuschen einschlafen kann – und sobald ich in der Natur bin, fürchte ich mich und kann kein Auge zubekommen?”
Gedanken zu, Augen aus.
Zünd dich an, renn in das Haus.
Nimm alle Sachen, die du bist:
Gewissen, Angst, Hoffnung, Nichts.
Zünd das Haus, renn in dich rein.
Die Antwort kennt,
Die Nach allein.
Da kannst du ruhig atmend von zehntausend runterzählen, deine Nasenhaaren beim aufbäumen spüren oder was auch immer dir Andy Puddicombe oder der Dalai Lama empfehlen möchten: die Lampe in deinem Kopf bleibt an. Sie flackert in der Nacht und lässt dich wissen, dass sich das Schlafen heute aufgrund einer Weichenstörung verzögert. Neben deinem Bett piepst das Fax-Gerät und eine Nachricht mit ‘Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten Kommen Sie doch auf ein lauwarmes Wasser in unser Boardrestaurant in Wagen 6’. fällt herab.
Just in dieser Zeit, so zwischen 2:17 und 5:30 Uhr, da triffst du deinen Vater, der zu deinem Erstaunen abgenommen hat und mit ergrauten Haaren auf einmal neben dir in der Küche steht. Er lehnt an der Arbeitsplatte und schüttet Tasmanischen Bergpfeffer in eine Kaffeemühle. ‘Na, Sohnemann, bisschen doller gewesen letzte Nacht? Nah, nimm dir mal nen Kaffee, hmm?”
Am Wohnzimmertisch sitzen deine Freunde. Während du dich auf deinen Sessel setzt, heben sie wissend Kopf und nicken dir langsam zu. Aber das kann natürlich nicht sein. Denn sie sind alle sind. Gerade, als du sprechen willst, nimmt Moe deine Hand und schaut dich an. “Shhh. Bist du so gut, und gibst mir mal die Kartoffeln, ja?”
Atmen, warten, wieder ich.
Wer nichts ändert, der geht ins Licht.
Zünd dich an, spring in die See.
Atme Tränen, atme Schnee.
Lichterloh brennst erst Du,
dann auch das Haus.
Wer nichts ändert,
kommt nicht mehr raus.
Dann, endlich, Garbor kann schlafen. Nackt, zusammengerollt auf dem Balkon. Und der Wasserfall macht das, was er eben am besten kann: Er ist einfach da – die Zeit ist ihm egal. Und der Zeit, der ist alles egal.