Benjamin Apfelbaum schreibt über Garbor, den Dünnen und wie es möglich ist, sich gleichzeitig zu viele und zu wenig Gedanken zu machen.

 
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Eine Portion leben (salzreduziert)

Garbor sitzt in einem schönen, cremefarbenen Sessel aus den 60ern in einem überdimensionalen Hotelzimmer mit den bodentiefen Fenstern, trinkt einen frischen Minztee und wartet. Nach ihrer Ankunft hatte die freundliche Dame am Empfang einfach nur gesagt „Wir haben das richtige Zimmer für sie bereits vorbereitet. Willkommen in Tuxford Falls!“ und ihm dann den Schlüssel in die Hand gedrückt. Das war vorgestern.

Jetzt taucht der Dünne rauchend an der Türschwelle auf, tippelt mit den Füssen und starrt ihn an.

„Und? Kommste voran?“

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Den letzten Teil fährst Du

Nach ein paar Stunden Fahrt halten Sie an einer Ampel. Der Dünne steigt aus, geht einmal um das Auto herum und steckt sich eine Zigarette an. "Den letzten Teil fährst du, Garb", sagt er. Doch Garbor weiß das ja selbst.

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Kurzwahltaste

Sie fahren nach Norden, aus der Stadt heraus. Nach nicht mal 15 Minuten sind sie auf der Autobahn und in Brandenburg. Links und rechts blüht grellgelb und unecht der Rapps. Nebenan stehen kleine große viele und vereinzelt Kühe. Halt die Luft an und konzentrier dich nur auf den Wald, dann siehst du 30 Minuten weiter sogar Wild und einen Kranich, der dich ein bisschen so ansieht als wäre es fast so überrascht über dich, wie du über ihn.

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Kaugummisonntag

"Neulich habe ich meinen Rucksack saubergemacht. Erst habe ich alles ausgeräumt und dann in die Waschmaschine getan. Als ich ihn rausnehme sehe ich, da ist ein Kaugummi dran, unten und an den Dingern hier, diese Bänder."

"Aha."

"Das hat total lange gedauert den abzupopeln. Hab mir dann ein Messer genommen und alles langsam und sauber abgeschabt."

"Und?"

"Als ich fertig war war Mittwoch."

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Auf dem Weg nach Tuxford

Garbor starrt auf die Innschrift an der seltsamen Tafel vor ihm und putzt seine Brille.

"Was steht’n da, Garbi?"

"Auf Wasseratmung umgestellt und dazugesellt, Arm um Arm, Arm in deinem Schoss und bloß nicht atmen, nicht zu schnell, nicht zu grell und nicht das du denkst, das denken hilft. Hilft nämlich nicht. Was hilft, ist einen Schritt zu tun und noch einen und noch und immer einen mehrnäher heran an das, was du bist.”

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Willkommen in Tuxford

Die Tage nach dem Lockdown waren unfassbar. Garbor hatte genug gesparrt, um die Zeit so genießen zu können, wie er es sich gewünscht hatte. So, wie er sich immer gesehen hatte. Mit einem leichten Schnauzbart in seiner Lieblingsbar mit einem Glas Blanc de Noir, nichts zu tun und ein gutes Buch in der Hand. Dann und wann kam jemand, der wissen wollte, “wie es ihm ging, was er las und überhaupt. Was für eine Zeit, nicht wahr.” Aber Garbor hatte eigentlich die ganze Zeit nicht mehr zugehört. Er sah die ganze Zeit nach links an die Bar, da wo das Mädchen Marie saß.

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Post aus Tuxford

Diese Geschichte fängt an wie ein schlechter Film. 

Eines Tages, mitten im Lockdown, kommt Garbor vom Einkaufen wieder und findet Post in seinem Briefkasten. Garbor mag keine Post. Eigentlich bekommen Menschen heute nur noch zwei Sorten von Post: Mahnungen oder Werbung. Wenn man ganz hartnäckige Verwandte hat bekommt man genau ein Mal im Jahr andere Post: Handschriftlich adressierte Briefe, die sich als Karten entpuppen auf denen irgendwelche Tiere Ballons halten und von Sternen mit grinsenden Gesichtern umrankt werden.

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Aufwachen in Tuxford

"… wie sie also sehen: Ein Buch zu schreiben ist, wenn man ehrlich ist, eine der leichtesten Sachen der Welt. Ich hoffe, Sie hatten ein bisschen Spaß heute. Sie glauben ja gar nicht, wie viel Spaß es mir gemacht hat."

Die Menschen erhoben sich allesamt und nach einer kurzen Pause regnete es heftigen Applaus, vereinzeltes Johlen und laute 'Bravo!"-Rufe. Garbor erhob die Hände zum Dank, stand von seinem Barhocker auf und verbeugte sich (wie er nachher empfand etwas zu theatralisch) langsam und lächelte.

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Zu verschenken

„Hey, hier ist Marie, spreche ich da mit Garbor?“

„Yep, der ist dran.“

„Du, ich ruf wegen deiner Anzeige an.“

„Ja, cool. Also: Wie ich in der Anzeige geschrieben habe: Ich verschenke meine Zeit. Nicht alle natürlich. Ein bisschen brauche ich ja auch. Aber ich habe gerade ne Menge übrig und mir ist viel langweilig gewesen, gerade am Wochenende.“

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Schlafanzugentzug

"Es ist zu spät, die haben die Bomben gezündet. Das waren die letzen Worte, die ich heute Nacht gehört habe. Dann wollte ich aus dem Raum gehen, in dem mein Bruder, das Mädchen Marie und ich standen. Ich dachte, wir können noch irgendwo hin. In einen Bunker oder sowas. Ich habe die kalte Klinke der Tür herunter gedrückt, aber dann habe ich den hellen Blitz gesehen. Wissen Sie, das war so eine seltsam wohlige Wärme, die auf einmal alles umschloss. Und dann diese Musik.

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Graupenschauer

Als Garbor aufwacht ist Graupelschauer. Schon das Wort klingt wie Scheisse. Wie Graupen halt.  Nur halt mit L. Aber Garbor kann nicht anders, als an Graupen zu denken. Ein Bild schleicht sich in seinen Kopf, bei der er wieder 12 Jahre alt ist und seine Mutter am Frühstückstisch vor ihm steht:

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Nachricht aus Tuxford

 "Ich verstehe. Viele Kreative haben ja mit Drogen zu kämpfen und dann ist der ganze Schaffensprozess wie in einem großen Nebel der Betäubungsmittel verschwommen. Ich habe mal das 'On Writing' von Stephen King gelesen. Kennen Sie das? Da spricht er ja auch von..."

"Nein, nein. Sie verstehen mich nicht. Das Buch war einfach da. Ich hatte höchstens 30 Seiten oder so davon wirklich geschrieben.

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Spring

Garbor hatte das Mädchen Marie vor gut zwei Jahren kennengelernt. Er hatte sie in einer Bar gesehen und sich sicherlich zwei Stunden überlegt, was er sagen könnte. 

"Wie wäre es, wenn du einfach rübergehst und 'Hallo' sagst."

Der Dünne war wie immer einfach so aus dem Nichts aufgetaucht. Dieses Mal hatte er allerdings keine Pferdemaske auf. Er trug ein sauberes, weißes Hemd mit Rundhalskragen. Seine Haare waren frisch geschnitten. Auf seinem Rücken war ein seltsamer Rucksack geschnallt, der über seiner Brust mit einem weiteren Gurt befestigt war.

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Reisewarnung

Anruf.

Der Dünne hatte wie immer seine wunderschöne Pferdemaske auf und lehnte an der Bar. In seiner Linken ein Glas Gin Tonic, in seiner rechten ein Nokia 6210.

„Garbor? Kannste mich hören? Ja, hier Dings, ich bins. Dünner! Wie? Wo ich bin? Ich bin in der Mitte von Sizilien. Also GENAU in der Mitte! Ist das nicht abegfahren? Nein, ich habe kein Ahnung, wie spät es ist, nein!”

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Beförderung

Garbor betrat den rechten Raum der Galerie. Wände und Decke waren weiß, der Fußboden war glatt schwarz gestrichen, so dass sich die grellen Deckenleuchter wie in einer Pfütze spiegelten.

In diesem Raum hing ein einziges großes Bild, sicher sechs Meter langes und zwei Meter hohes Gemälde. Auf dem Bild standen mit weißer Schrift auf schwarzem Grund Namen. Es waren die Namen aller Soldaten, die jemals posthum eine Auszeichnung erhalten hatten.

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Nebel, 16:07 Uhr

Der Sonntag fühlte sich so an, wie der letzte Tag bevor die Schule wieder losging. Nur mit dem Unterschied, dass nicht Sonntag war und am nächsten Tag nichts wieder los ging.

Garbor stand exakt in der Mitte des Nebels, seine Hände vibrierten im Takt der Einschläge und Tropfen fielen ihm im in die Augen. Mochte an den appen Haaren und Augenbrauen liegen, am Regen oder der schönen Schnitzerei auf seiner Stirn.

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Untergang, 15:40 Uhr

Garbor betrachtete die Pistazienschalen in seiner Hand und versuchte sich daran zu erinnern, wie er hierher gekommen war.

„Drück mir die Daumen, Garb, vielleicht schaffe ich es zum anderen Ufer. Ich hole Hilfe. Ganz sicher. Du musst dir keine Sorgen machen… ich komme wieder. Hey! Hey, Garb, hörst du mich? Ich komme wieder, ja?“

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Niemand hat die Absicht

„(…) sondern, und das sollte ihnen direkt jetzt am ersten Tag ihrer neuen Funktion klar sein: Die Menschen wollen geführt werden.

Sie wollen es genießen und lachen und die endlose Freiheit atmen, ja, das sagen sie. Das schreiben sie unter ihre Instagram-Posts und in ihre Kalendersprüche.

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Ein Reisebericht

Garbor betritt den rötlich schimmernden Raum durch einen ebenso albernen wie antiquierten Perlen-Vorhang und sieht den Dünnen, wie er auf der Lehne eines braunen Cord-Sofas hockt.

Auf dem Sofa sitzen zwei jungen Frauen mit Topfhaarschnitt und zum Platzen aufgerissenen Pupillen, die ihre Gin Tonics umklammern, als wäre es die Bibel, ein Fabergé-Ei oder schlimmeres.

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Da ist ein bisschen Hölle

Die Realität ist nicht das Problem.

Das Problem sind die Träume. Oder eher: die Zeit. Sowohl die abgelaufene, als auch die zukünftige. Zeit heilt keine Wunden. Sie schafft sie. Jedenfalls, wenn zu viel, oder zu wenig davon da ist. Wenn man genau das richtige Maß an Zeit hat, dann, ja dann geht alles gut.

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“Ich schreibe lediglich, um herauszufinden, was ich denke, was ich anschaue, was ich sehe und was es bedeutet. Was ich will und wovor ich mich fürchte.”

— Joan Didion